Roviata Diaries

1998

 

a vacational diary: every day a poem…

ena
 
outbound to new horizons

neue horizonte im alten land

verloren geglaubtes ich
tief in mir vergraben
das aus mir altgedientem vater
emporsteigt ad astra

der postsozialistische charme
des athener busbahnhofs
staubig, abgasgeschwängert,
hektisch, kakophonisch
führt mich zurück in die zeit
und zeigt mir den weg
zur verschmelzung der zeiten

leben, fühlen, sein
- für einander sein


dio
 
back to the basics

sonne strand und meer

die lendendurchströmende sonne
leckt am salz auf deiner haut

wie im richtigen leben

spielend zwischen verbrennender haut
und ungeahnter blüte


tria
 
inside reality

auf der suche nach cigarettes'n' beer
staunte ich in savalia
über die vielen menschen
die wartend auf der straße standen
neben dem gut besuchten straßencafé

sie standen teils auf der straße
als warteten sie auf den reisebus

als der blumenübersäte mercedes
langsam auf sie zu rollte
wollte ich dem brautpaar gratulieren

  • doch es war eine beerdigung

tessera
 
come back home

wo bin ich
wer bin ich
was bin ich

griechisches selbstverständnis
macht sich in mir breit
nicht alles verstehend
und doch alles verstehen

eingebunden in die natur
sein und verstehen
leben und lieben


pente
 
watch out for the skies

den berg hinan
hineingefressen gleich
alterslose kleine
schwarzgekleidete und schwarzbehaarte
ehemalige frauen
im nonnenkloster
hoch oben in den berg gehauen
verstrahlen unentrinnbar
ihre liebe zu Jesus
und ihre nähe zu Gott

  • ein nonnenkloster hoch oben in den bergen im ‘griechischen’ stil unzugänglich und teil des berges\
     

exi
 
float into the sun

schwereloses treiben
auf der silbernen glitzernden spur
in den sonnenuntergang

jenseits
des glänzenden wogens
erheben sich berge aus dem dunst

und diesseits
entsteigt meine aphrodite
den fluten


efta  
history in the sun

unter sengender hitze
die geschichte ergehen

arenen und tempel
phallische statuetten
und nymphenheiligtum
im schoße des heiligen hains

der nach all den jahrtausenden
die gleiche würde und weihe atmet

einssein mit natur himmel und erde
dem staub dem gras dem wind und dem wasser
einssein mit Gott und den göttern

  • Ὀλυμπία im hochsommer zwischen touristengruppen, die ihrem das pappschild mit ihrer gruppennummer hochhaltenden anführer hinterher trotten und so alles erfahren

octa
 
eyes shining like stars

den staub des tages abschüttelnd
ist die terrasse unser fauteuil
und der sternenhimmel unser boudoir

entrückt der zeit und dem raum
gleiten wir im glanze
und verschmelzen zum abbild
des vollmondes auf erden


ennea
 
don’t look back

sie kamen nach griechenland
auf der flucht vor ihrer grauen heimat

sie waren nicht mehr so jung
und hatten genug geld

doch nun sind ihre herzen
mit frischem unmut überfüllt
und ihre alternden körper
bedürfen der wartung heimischer spezialisten

  • zu besuch bei schweizer-griechen, die zimmer im schweizerjugendherbergsstil vermieten wollen und unter prostatakrebs leiden

deka
 
dinner by the sea

der mond sinkt hernieder
im bestreben aphrodite neu zu gebären

die teller gefüllt
in der taverne am strand

zwischen munteren worten
der blick in die unendlichkeit


endeka
 
where have all the greeks gone by

verlassene cafés
an sonnenbeschienenen plätzen

abweisender marmor
flankiert die leere

selbst die tauben scheinen zu gähnen

  • man sollte nicht vor acht uhr abends auf ein bier in die stadt gehen wollen (hier: Pyrgos)

dodeka

ride the silv’ry mountains

wie weiland hermes
eilen wir von bergrücken zu bergrücken

eingewoben in einen teppich
aus zikkadenklängen
sehnsucht und abgasen

zu schauen
der entrücktheit des himmels
der tiefe der täler
der weiten der weiden


dekatria  
say goodbye to the waves

ein letztes eintauchen
ein letztes abtauchen

sonne salz und sand auf der haut
unendlichkeit im blick
strandgeschrei ringsumher


dekatessera
 
ancient sites and modern heat

im häusergewirr athens
findet sich immer die eine oder andere antike säule
im loch in der straße
eingezäunt und vom erdenstaub befreit

sommer sonne staub und hitze
die athener sind in den urlaub geflohen

die wege sind lang
und die erfrischungen teuer

  • tatsächlich sind zahllose ausgrabungsstätten inmitten der straßen und das leben brandet um sie herum

dekapente  
Px 9c

gerenne und geschiebe
durch die sich aufheizende stadt

und dann nach des flughafens leere
ein stück passagier
aboard lt223


dekaexi
 
Zurück in den Armen
des alltäglichen Wahns
der Geldsorgen und der allgemeinen Geldgier
des Einerleis und der Orientierungslosigkeit

Umschlungen von der gleichgültigen Gleichmacherei
dem Besonderssein um jeden Preis
der stumpfsinnigen Betonung bedeutungsloser Ichs
der Leere aus der Gier nach Allem

…und dann regnet’s auch noch